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Hessen, Elisabeth und die Reformation

09. September 2022


Am 28. September 2022 versteigert Künker die Sammlung Loos von Münzen und Medaillen mit einer Verbindung zu Hessen. Dr. Hans-Jürgen Loos stellte an sich den Anspruch, die Geschichte seiner Heimat in dieser Sammlung zu dokumentieren. Er wollte einen Überblick zur Geldgeschichte zu geben, um so die Vergangenheit des heutigen Hessens zu illustrieren. Ihm und seinem Sammlerkonzept zu Ehren ist dieser Artikel nicht einer Münze oder einer Epoche gewidmet. Wir spannen den Bogen viel weiter: Wir beginnen mit Münzen aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und enden mit der Reformation.

 

Landgraf Wilhelm II. der Mittlere, 1493-1509. Goldgulden 1506, Kassel. Sehr schön. Schätzung: 15.000,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1280

Landgräfin Elisabeth

Unser Ausgangspunkt ist eine der großen Seltenheiten der Sammlung Loos: Ein Goldgulden des Jahres 1506, der auf seiner Rückseite die heilige Elisabeth zeigt. Sie, die so einfach gelebt haben soll, trägt eine schwere Krone auf dem Kopf und hält auf dem Arm ein gigantisches Kirchenmodell. Daran sehen wir, dass die Münze nicht die lebende Frau, sondern die verehrte Heilige zeigt. Die Krone wurde ihrem Schädel anlässlich der Erhebung der Gebeine aufgesetzt, die große gotische Kirche über ihrem bescheidenen Grab in Marburg erbaut. Der auf der Münze zu ihren Füßen kauernde Bettler weist darauf hin, warum Elisabeth zur Ehre der Altäre aufstieg, wegen ihrer Liebe zu den Armen.

Wie aber wurde aus einer hessischen Landgräfin eine der bekanntesten deutschen Heiligen? Um das zu verstehen, müssen wir viele Jahrhunderte zurückgehen.

Landgraf Ludwig IV. von Hessen, 1217-1227. Brakteat. Vorzüglich. Schätzung: 400,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1838

Dieser Brakteat zeigt eine stilisierte Darstellung des jungen Landgrafen Ludwig IV. von Thüringen. Er heiratete im Jahr 1221 Elisabeth, die Tochter des ungarischen Königs. Sie gebar ihm drei Kinder, ehe Ludwig IV. Kaiser Friedrich II. auf seinen Kreuzzug im Jahr 1227 begleitete. Ludwig schaffte es nicht einmal ins heilige Land. Er starb bereits vor der Überfahrt in Otranto an einem Fieber. Seine Witwe Elisabeth, damals gerade 20 Jahre alt, geriet in eine unkomfortable Situation: Ihr Sohn war zu klein, um die Herrschaft zu übernehmen. Sie selbst verzichtete – aus welchen Gründen auch immer – auf die Regentschaft, die stattdessen der Bruder des verstorbenen Landgrafen ausübte, der ambitionierte Heinrich Raspe. Elisabeth verließ sowohl die heimatliche Wartburg, als auch ihre Kinder und zog sich in das von ihr gegründete Hospital in Marburg zurück. Dort starb sie im Jahr 1231 im Ruf der Heiligkeit.

Landgraf Hermann II. von Hessen, 1227-1242. Brakteat. Fast vorzüglich. Schätzung: 750,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1839

Die Heiligsprechung

Bei ihrem Tod war ihr Sohn, den wir auf diesem Brakteaten sehen, neun Jahre alt, und der Regent hieß immer noch Heinrich Raspe. Dem erwuchs durch das Testament seiner frommen, aber etwas eigenwilligen Schwägerin ein Problem. Sie vermachte das Marburger Hospital mit all seinen üppigen Besitzungen nämlich nicht ihren Nachkommen, sondern der benachbarten Johanniterkommende. Damit hätten die Landgrafen von Thüringen ein erhebliches Stück Macht eingebüßt. So übernahm Konrad Raspe, also der jüngste Bruder von Ludwig IV., den Besitz – trotz des Testaments. Der Erzbischof von Mainz widersprach als Schutzherr der Johanniter diesem Vorgehen. Natürlich entstand daraus ein Krieg, ein Krieg, der auf allen Ebenen geführt wurde: Propagandistisch und militärisch.

Heinrich und Konrad Raspe betrieben nämlich beim Papst die Heiligsprechung ihrer Schwägerin Elisabeth. Damit hätte im Erfolgsfall deren Aura der Heiligkeit auf sie abgefärbt. Doch dann lief die Sache militärisch aus dem Ruder: Konrad Raspes Truppen erstürmten am 15. September 1232 Fritzlar, damals im Besitz des Erzbistums Mainz. Sie wüteten derart, dass es dem Erzbischof gelang, beim Papst die Exkommunikation Konrads durchzusetzen. An eine Heiligsprechung Elisabeths war so natürlich nicht zu denken!

Konrad blieb nichts anderes übrig, als im Sommer 1234 nach Rom zu pilgern, Abbitte zu leisten und einen Kompromiss auszuhandeln. Der sah folgendermaßen aus: Nicht die Johanniter, sondern der Deutsche Orden erhielt das Hospital mitsamt seinen reichen Besitzungen. Konrad Raspe gab die weltliche Macht auf und trat im November 1234 dem Deutschen Orden bei, wahrscheinlich bereits im Wissen, dass er nach dem Tod des Hochmeisters selbst dessen Nachfolge antreten würde, was 1239 geschah. Der Kanonisationsprozess von Elisabeth wurde wieder aufgenommen. Er endete mit der Heiligsprechung am 1. Juni 1235.

Die Erhebung der Gebeine

Am Vorabend des großen Fests öffneten Vertreter des Deutschen Ordens das Grab der Landgräfin, entnahmen ihm die Gebeine, wuschen und salbten sie. Für ihre beiden Töchter wurden eine Rippe und ein Arm beiseite getan. Auch der Kopf wurde abgeschnitten, ehe die Deutschherren die Gebeine in ein kostbares, mit Purpur gefärbtes Tuch wickelten, um sie in einen Bleisarg zu legen.

Am nächsten Morgen, dem 1. Mai 1236, zog der deutsche Kaiser Friedrich II. an der Spitze zahlreicher Reichsfürsten barfuß und im Büßergewand zum Grab Elisabeths. Ihr Sarg wurde nun zum Altar getragen. Ihr Schädel in einen goldenen Becher gebettet und mit der goldenen Krone gekrönt. Später wurde er in ein Kopfreliquiar umgebettet, das viele Jahrhunderte lang in der Elisabethenkirche Verehrung fand.

Zum Zeitpunkt der Reliquienerhebung wurde in Marburg bereits an dieser neuen Kirche gebaut. Der Papst hatte zusammen mit der Heiligsprechung ein Schreiben geschickt, das jedem, der für den Bau der neuen Elisabethenkirche spendete, einen ordentlichen Ablass versprach. So entstand nach dem Vorbild der französischen Kathedralen die älteste rein gotische Kirche Deutschlands, die sich sofort zu einem bedeutenden Wallfahrtsziel entwickelte.

Für Heinrich Raspe bedeutete dies einen solchen Zuwachs an Prestige, dass er sich nach der Absetzung Kaiser Friedrichs II. zum Gegenkönig aufstellen und wählen ließ.

 

Sophia von Brabant. Denar, Marburg, um 1250. Sehr selten. Sehr schön. Schätzung: 500,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1251

Sophia von Brabant. Brakteat, Marburg. Sehr schön. Schätzung: 250,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1253

Ein Streit ums Erbe

Konrad Raspe starb 1240, Landgraf Hermann II. 1242, Heinrich Raspe 1247. Keiner von ihnen hinterließ einen Sohn. Damit war der männliche Zweig der Familie ausgestorben und der Streit ums Erbe konnte beginnen. Gute Aussichten hatte Heinrich II., Herzog von Brabant und Niederlothringen, der Sophie, die Tochter der hl. Elisabeth und Ludwigs IV. geheiratet hatte. Er zog noch 1247 mit einer kleinen Streitmacht nach Marburg, um seine Ansprüche anzumelden. Doch Heinrich von Brabant starb nicht einmal ein halbes Jahr später. Sein Erbe, ein Sohn aus erster Ehe, hatte kein Interesse daran, die Erbansprüche seines kleinen Brüderchens durchzusetzen. So stand Sophie allein, als sie beschloss, die Rechte des vierjährigen Heinrich zu wahren.

Doch sie nutzte das Prestige, das es ihr verlieh, von einer Heiligen abzustammen. Die Tochter der heiligen Elisabeth, wie sie sich selbst in ihren Urkunden nannte, setzte nicht das Bild ihres Sohnes auf die Münzen, wie zu erwarten. Stattdessen benutzte sie ihr eigenes, versehen mit dem durch die Heirat erworbenen Titel Herzogin. Das war sehr ungewöhnlich für eine Frau in dieser Epoche. Zwar gelang es ihr nicht, die Übernahme Thüringens durch die Wettiner zu vereiteln, aber immerhin musste der Bischof von Mainz, der versucht hatte, die hessischen Besitzungen zu annektieren, klein beigeben.

 

Sophia von Brabant mit ihrem Sohn Landgraf Heinrich I. Denar, Grünberg. Sehr schön bis vorzüglich. Schätzung: 500,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1254

Die Nachkommen der heiligen Elisabeth und der Sophie von Brabant blieben viele Jahrhunderte lang die Herrscher der Landgrafschaft Hessen.

 

Landgraf Wilhelm II. der Mittlere, 1493-1509. Guldengroschen 1502, Kassel. Sehr schön. Schätzung: 7.500,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1281

Warum aber berief sich Landgraf Wilhelm II. in seiner Münzprägung derart auf die heilige Elisabeth? Hier fehlt, um die Geschichte vollständig zu erzählen, in der Sammlung Loos eine zentrale und extrem seltene Münze. Deshalb zeigen wir ein Stück, das in der Künker Auktion 371 versteigert wurde.

 

Landgraf Wilhelm I. der Ältere, 1483-1493. Groschen o. J. (um 1492), Kassel. Gutes sehr schön. Schätzung: 7.500,- Euro. Zuschlag: 9.000,- Euro. Aus Auktion Künker 371 (22. Juni 2022), Nr. 2883

Ihr Urheber ist nicht Landgraf Wilhelm II., sondern sein älterer Bruder Wilhelm I., ein Schwarmgeist, der seine Vorfahrin, die hl. Elisabeth geradezu überschwänglich verehrt haben soll. Er machte sich 1491 auf eine Pilgerreise ins Heilige Land und kehrte in einem Zustand zurück, der ihn nicht mehr befähigte, ein Land zu regieren. Warum, darüber kann man nur Spekulationen anstellen. Seine Zeitgenossen machten die Kurtisanen von Venedig verantwortlich. Wahrscheinlich hatte er sich mit der Syphilis infiziert, die in ihrem letzten Stadium zur Demenz führen kann. Die Herrschaft übernahm der machtbewusste Wilhelm II., der seinerseits die hl. Elisabeth zu nutzen wusste, um sein Prestige zu steigern.

Er heiratete 1497 die Schwester des reichen Herzogs von Lothringen, die ihm eine Mitgift von 32.000 rheinischen Goldgulden in die Ehe brachte. Wilhelm empfing seine Braut programmatisch am Grab der heiligen Elisabeth.

Ein passender Todesfall sowie die fruchtbare Zusammenarbeit mit Kaiser Maximilian I. machten Wilhelm II. zu einem der wichtigsten Reichsfürsten. Er konnte sein Gebiet radikal vergrößern und trug den neuen Wirtschaftsräumen Rechnung, indem er im Jahr 1502 eine Münzreform durchführte. Höchstes Nominal der Reform war der Guldengroschen zu 27 Albus von je 12 Hellern. Ein Jahr später – 1503 – erhielt Wilhelm II. vom Kaiser das Recht auf eine eigene Goldprägung. All die neuen Münzen zeigten Elisabeth.

Doch auch Wilhelm II. erkrankte – diesmal gesichert – um 1505 an der Syphilis. Er verbrachte die letzten Jahre seines Lebens tobend im Arrest. Als Wilhelm im Jahr 1509 unter kläglichsten Umständen starb, hinterließ er einen minderjährigen Sohn namens Philipp, dem die protestantische Geschichtsschreibung den Beinamen der Großmütige verleihen sollte.

 

Landgraf Philipp der Großmütige, 1509-1567. Unter der Regentschaft seiner Mutter. Albus 1510, Kassel, unter dem Namen Wilhelms II. Gutes sehr schön. Schätzung: 250,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1288

Und dann kam die Reformation. Landgraf Philipp saß persönlich auf der Fürstenbank, als sich Luther weigerte, seine Schriften zu widerrufen. Der gerade Sechzehnjährige gehörte zu den vielen Reichsfürsten, die Luther und seinen Wunsch nach einer Kirchenreform unterstützten. Das lag auch daran, dass Philipps Kanzler den Reformator noch aus seinen Studienzeiten persönlich kannte.

1526 führte Philipp die Reformation ein, 1528 löste er die erste bewaffnete Auseinandersetzung der Glaubenskriege aus. 1529 war er der wortgewaltige Anführer derer, die wegen ihres Protests auf dem Reichstag von Speyer als Protestanten in die Geschichte eingehen sollten.

 

Landgraf Philipp der Großmütige, 1509-1567. Philippstaler 1538, Kassel. Sehr selten. Sehr schön. Schätzung: 3.000,- Euro. Aus Auktion Künker 374 (28. September 2022), Nr. 1291

Und dann kam ihm – wie seinem Onkel und seinem Vater vor ihm – die Syphilis dazwischen. Erste Symptome zeigten sich 1539. Es fällt leicht nachzuvollziehen, wie verzweifelt der Fürst gewesen sein muss. Ganz Kind seiner Zeit verband Philipp seine Erkrankung mit seinem selbst für damalige Verhältnisse ziemlich ausschweifenden Lebenswandel. Er glaubte, nicht allein mit seiner Gemahlin – die ihm übrigens zu dem Zeitpunkt bereits zehn Kinder geboren hatte – auskommen zu können. Um nicht frevelhaft mit Konkubinen verkehren zu müssen, setzte Philipp die reformierten Theologen unter Druck, ihm eine Sondergenehmigung zur Bigamie zu erteilen.

Und er unternahm noch einen weiteren Schritt, um Gottes Gunst zurückzugewinnen und so die Krankheit zu besiegen. Bereits 1528 hatte er den Zugang zum Grab sperren lassen, um das Pilgerwesen zu unterbinden. Nun wurden unter tumultuarischen Umständen, wie Niklot Klüßendorf es nennt, die Gebeine der heiligen Elisabeth aus ihrem Grab entfernt. Sie sollen erst nach Philipps Niederlage im Schmalkaldischen Krieg den Deutschherren zurückgegeben worden sein. Eine andere Legende erzählt, sie seien gerettet und in das Wiener Kloster der Elisabethinen verbracht worden, wo sie heute noch gezeigt werden. Ihre Bedeutung als Wallfahrtsstätte hat die Elisabethenkirche von Marburg allerdings nicht wieder erreicht.

Nichtsdestotrotz wurden unter Philipp weiterhin Münzen mit dem Bildnis der heiligen Elisabeth aus alten Stempeln nachgeprägt. Das Ende der Elisabethendarstellungen auf Münzen kann nicht konkret mit Philipps Maßnahmen gegen die Wallfahrt in Verbindung gebracht werden. Außerdem blieb Elisabeth, nun als fromme Ahnin, eine Identifikationsgestalt der hessischen Landgrafschaft. Wir finden sie immer wieder dargestellt, und das noch bis in unsere Zeit.

Literatur:

Niklot Klüssendorf, Die heilige Elisabeth im hessischen Münzbild. Veröffentlicht in: Abhandlungen der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft Band 56, 2005, S.51-89

Hans Philippi, Das Haus Hessen. Ein europäisches Fürstengeschlecht. Kassel (1983)