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Eine Zarin als Stempelschneiderin

11. Mai 2016 16:31


Es ist eine prachtvolle Medaille, jene Medaille, die Zar Alexander I. als „Retter der Völker“ rühmt und in drei Materialien – Gold, Silber und Bronze –ausgegeben wurde. Sie zeigt auf der Rückseite einen Altar, auf dem die russischen Reichsinsignien, Krone, Szepter und Reichsapfel, ruhen. Darauf blickt das Auge Gottes im Strahlenkranz. Auf dem Altar findet sich die Aufschrift „Alexander dem Gesegneten“. Drei Kränze liegen am Fuße des Altars, ein Opfer für den heldenhaften Zaren: In der Mitte der Lorbeerkranz des Siegers, links der aus Ölzweigen gebundene Kranz des Friedens, rechts der Eichenkranz für den, der das Leben der Menschen gerettet hat. Die Datierung 19. März 1814 hat nichts mit dem Ausgabejahr der Medaille zu tun. Sie bezieht sich auf den feierlichen Einzug der siegreichen Alliierten in Paris. Und wer verwundert darauf hinweist, dass dieser Einzug erst am 31. März stattfand, der möge daran denken, dass in Russland noch nach dem julianischen Kalender gerechnet wurde. Und Maria Feodorowna, deren Namen wir klein als Schöpferin unter der Bodenlinie des Altares lesen können, dachte russisch, auch wenn sie im Jahr 1759 in Deutschland geboren worden war.


Künker Auktion 277, Los 345: Goldmedaille zu 48 Dukaten von Maria Feodorowna auf den Einzug ihres Sohns in Paris. Geschätzt ist das in der kommenden Künker-Sommerauktion angebotene Stück mit 125.000 Euro.

 

Sophie Dorothee, wie sie ursprünglich getauft wurde, war das vierte der zwölf Kinder des Friedrich Eugen von Württemberg, der lange nach Sophies Heirat zum Herzog von Württemberg aufsteigen sollte. Die Mama war die Enkeltochter einer Schwester Friedrichs des Großen, und so nutzte Friedrich eine Anfrage der russischen Zarin Katharina, um seine Urgroßnichte mit dem russischen Thronfolger Paul zu verkuppeln, und so Russland an Preußen anzunähern. Dafür musste Sophie Dorothee zum orthodoxen Glauben übertreten und den Namen Maria annehmen.

 


Porträt der Maria Feodorowna im Alter von 18 Jahren von Alexander Roslin. 
Eremitage. Quelle: Wikipedia.

 

Was Friedrich unterschätzt haben dürfte, war die Abneigung, die Katharina gegenüber ihrem Sohn empfand. Paul wurde systematisch von allen Staatsämtern ferngehalten. Und Katharinas Abneigung übertrug sich auf die junge Maria Feodorowna, die ihren Mann rückhaltlos unterstützte. Katharina hatte den beiden 1783 ein Schloss in Gattschina geschenkt, und dort hielt sich das junge Ehepaar hauptsächlich auf. 

Ihr größtes Problem war die Langeweile. Während Paul am liebsten seine nach preußischem Vorbild aufgebaute Truppe drillte, widmete sich Maria Feodorowna ihren künstlerischen Neigungen. Sie spielte das Cembalo, sang und malte Aquarelle – wie die meisten wohlerzogenen höheren Töchter. Eher ungewöhnlich war Marias Vorliebe für das Kunsthandwerk. Sie entwarf Kameen, griff selbst zum Schnitzmesser, um Elfenbeinarbeiten zu gestalten, und lernte zu einem uns unbekannten Zeitpunkt das Handwerk des Medailleurs. In Naglers Kunstgeschichte lesen wir, dass Carl von Leberecht, der seit 1776 als Medailleur am russischen Münzhof tätig war, sich brüstete, „eine Kaiserin unter seine Zöglinge zu zählen, nämlich die Kaiserin Mutter Maria Feodorowna.“

Während sowjetische Forscher sich nicht vorstellen konnten (oder durften), dass eine Zarin in der Lage war, etwas Sinnvolles zu tun, gehen heutige Historiker durchaus davon aus, dass Maria Feodorowna das Können besaß, um einen Medaillenstempel zu gestalten. Schließlich weiß man von einer Werkstatt, die sie sich in späteren Jahren in Pawlowsk eingerichtet hatte.

Zeit genug, ein Handwerk zu lernen, hatte Maria Feodorowna schließlich während der langen Jahre in Gattschina, als Paul und sie zum Nichtstun verdammt waren. Und im 18. Jahrhundert war es für ein Mitglied des Hochadels nicht ungewöhnlich, sich in seiner Freizeit als Handwerker zu betätigen. Die Oper „Zar und Zimmermann“ beruht auf der Tatsache, dass Peter bei einem Zimmermann in die Lehre gegangen war. Ludwig XV. von Frankreich drechselte, und Ludwig XVI. arbeitete als Schlosser in seiner königlichen Privatschmiede. Und sie waren nicht die einzigen. Maria Feodorowna hatte eben die Stein- und Stempelschneiderei als Zeitvertreib gewählt und ging deshalb bei Carl von Leberecht in die Lehre. 

 

Künker Auktion 277, Los 346: Bronzemedaille von Maria Feodorowna auf den Einzug ihres Sohns in Paris. Die Schätzung für dieses Stück beträgt lediglich 500 Euro.

 

Natürlich schuf eine Zarin keine Münzstempel für die alltägliche Prägung. Aber der Sieg ihres Sohnes Alexander I. über Napoleon schien ihr als Deutscher und Mutter würdig, von ihren eigenen Händen in einem Stempel festgehalten zu werden. Wir kennen zwei unterschiedliche Stempelpaare für diese Medaille, die in marginalen Details voneinander abweichen.

Und als sie am 26. Dezember 1818 in Anwesenheit des preußischen Königs Friedrich Wilhelms III. zum ordentlichen und Ehrenmitglied der Preußischen Akademie der Künste ernannt wurde, lieferte sie nachträglich – wie in den Satzungen der Akademie vorgesehen – ein Aufnahmestück, nämlich die Medaille, die sie für ihren Sohn anlässlich seines Einzugs in Paris angefertigt hatte.

Maria Feodorowna starb am 5. November 1828 in Pawlowsk. Sie hatte sich kurz vor ihrem Tod noch darüber freuen dürfen, dass sie, die „kunstfertige Fürstin“, in Naglers Neuem allgemeinen Künstler-Lexikon mit einem eigenen Eintrag aufgenommen wurde. 

 


Gemme mit dem Porträt Katharinas II. als russische Minerva, geschaffen
von Maria Feodorowna. Quelle: Wikipedia.