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Die preußische Schweiz

15. September 2021 13:10


Neuenburg - oder wie man in der Welschschweiz sagt Neuchâtel - war das, was man in der Schweiz einen „zugewandten Ort“ nennt. Das bedeutete, dass Neuenburg sich zwar durch Verträge mit der Alten Eidgenossenschaft verbunden hatte, dass es aber kein eidgenössischer Kanton wie Bern, Basel oder Schaffhausen war. Zwar sandten die Neuenburger durchaus ihre Vertreter in die Tagsatzung - das Schweizerische Parlament -, doch dort waren sie nicht stimmberechtigt.

Das ermöglichte dem Fürstentum eine eigenständige Außenpolitik, wurde aber im Verlauf des 17. Jahrhundert mehr und mehr zur Gefahr: Der französische König Ludwig XIV. eroberte ein Grenzgebiet nach dem anderen, um sein mächtiges Groß-Frankreich zu schaffen. Neuenburg hätte bestens ins Portfolio gepasst. Das Fürstentum hätte für Ludwig zu einem Brückenkopf in die Eidgenossenschaft werden können. Das protestantische Bern, das eine lange Grenze mit Neuenburg teilte, war von den französischen Ambitionen alles andere als erbaut. Deshalb lagen die Nerven blank, als am 15. Juni 1707 Marie de Nemours kinderlos starb. Sie war die letzte erbliche Fürstin von Neuenburg gewesen, und nach ihrem Tod meldeten nicht weniger als neunzehn potentielle Erben ihre Ansprüche an, darunter der Neffe des französischen Königs, der König von England und Friedrich I., seit 1701 König in Preußen.

Silbermedaille 1707 von G. Hautsch auf die Erlangung des Fürstentums Neuenburg und die Geburt eines Enkels. Vorzüglich bis Stempelglanz. Schätzung: 300,- Euro. Aus Sammlung Axel Tesmer, Auktion Künker 353 (2021), Nr. 3239.

Ein preußischer Herrscher für Neuenburg

Die Wahl dürfte dem Gericht der Drei Stände von Neuenburg, das den neuen Herrscher bestätigte, nicht allzu schwer gefallen sein. Sie wollten keinen französischen Fürsten, der sie noch enger an Frankreich gebunden hätte. Sie brauchten einen Mann, der als energischer Gegner Ludwigs XIV. bekannt war, und diese Beschreibung traf auf Friedrich I. zu.

Er hatte - noch als Kurfürst - die vom Vater geerbte Koalition mit Frankreich zu Gunsten eines Bündnisses mit den reformierten Niederlanden aufgegeben und sich im Spanischen Erbfolgekrieg auf die Seite des Kaisers gestellt. Er war als tolerant bekannt: Immerhin hatte er sich bei seiner Krönung zum König in Preußen gleich von zwei Bischöfen salben lassen: Einem reformierten - Friedrich I. war überzeugter Calvinist - und einem Lutheraner - die Mehrheit seiner Untertanen gehörten der protestantischen Konfession an. Und dann war Friedrich I. wunderbar weit von Neuenburg entfernt. Es stand nicht zu erwarten, dass er ins politische Tagesgeschäft eingreifen würde. Das benachbarte Bern, die wichtigste Schweizer Macht, hatte sich auch für Friedrich ausgesprochen. Was wollte man da noch mehr?

Am 3. November 1707 bestimmten deshalb die zwölf Richter des Gerichts der Drei Stände Friedrich I. zum neuen Fürsten von Neuenburg, ein Entscheid, der beinahe in einem Krieg gemündet hätte. Ludwig XIV. plante, seine Garnisonen in Neuenburg einmarschieren zu lassen. Doch dessen Bürger hatten Glück: Die französischen Truppen wurden gerade auf anderen Kriegsschauplätzen dringender gebraucht.

Friedrich I. Reichstaler 1713, Bern. Selten. Sehr schön bis vorzüglich / Vorzüglich. Schätzung: 2.500,- Euro. Aus Sammlung Axel Tesmer, Auktion Künker 353 (2021), Nr. 3227.

Münzprägung mit Hindernissen

Am 17. April 1711 starb Kaiser Joseph I., und zwar ohne einen Sohn zu hinterlassen. Es erbte sein Bruder Karl VI., gleichzeitig der Habsburger Prätendent für die spanische Krone. Damit drohte ein Mann die beiden Teile des Reichs Kaiser Karls V., in dem die Sonne nicht unterging, wieder unter einer Krone zu vereinen - ein Alptraum für englische Politiker. Was das für die Neuenburger Münzprägung bedeutete? Nun, London zwang allen Beteiligten an den Verhandlungstisch. Zu den betroffenen Parteien zählten auch Berliner und Neuenburger Diplomaten, die seit dem Frühling 1712 die Interessen Friedrichs I. von Preußen in Utrecht vertraten. 1713 hielt der Friedensvertrag von Utrecht Preußens Anspruch auf die Nachfolge der Marie von Nemours fest.

Sehen wir uns an, was inzwischen in der Münzstätte von Neuenburg geschah: Dort hatte Friedrich I. bereits Ende des Jahres 1711 klar gemacht, dass man nun endlich eine Münzprägung mit seinem Bildnis in die Wege leiten müsse. Die britischen Vorbereitungen für den Friedenskongress liefen auf Hochtouren, und dafür glaubte Friedrich I. ein numismatisches Propagandamittel zu brauchen: Neuenburger Münzen mit seinem Porträt sollten seinen Anspruch auf Neuenburg unterstreichen. Stempel wurden also bestellt, doch noch schwelte ein hässlicher Streit mit einem ehemaligen Neuenburger Münzmeister. Friedrich schickte also im Januar 1712 ein Neuenburger Staatsrat nach Genf, um die Auseinandersetzung beizulegen. Im Herbst 1712 konnte endlich der Befehl ergehen, die benötigten Münzen zu prägen. Und noch im gleichen Jahr entstand eine erste Probe für die goldenen Pistolen sowie zahlreiche Halbbatzen.

Während die Münzstätte von Neuenburg erst einmal Kleinmünzen mit dem Namen Friedrichs prägte, starb dieser am 25. Februar 1713, bevor noch der Frieden von Utrecht unterzeichnet worden war. Und damit stellte sich die Frage, ob man die Münzprägung einstellen und Stempel mit dem Namen des neuen Herrschers Friedrich Wilhelm I. herstellen sollte, ehe man weitere Münzen fabrizierte. Ganz der sparsame Hausvater entschied sich der Mann, den wir als den Soldatenkönig kennen, dagegen. Die Prägung wurde mit den existierenden Stempeln fortgesetzt. Die Münze, die wir hier sehen, entstand nicht 1713, sondern erst im Mai 1714. Nur 1.622 Stück wurden davon geprägt.

Das Stück zeigt auf der Vorderseite das königliche Porträt und auf der Rückseite das gekrönte Wappen der Grafschaften Chalon und Neuchatel mit dem preußischen Adler auf dem Herzschild. Auf der Rückseite wird Friedrichs Motto „Suum cuique“ - jedem das Seine - zitiert. Die Signatur I.P. am Halsabschnitt erinnert an Jean Patry, Münzmeister von Genf und Wardein der Münzstätte Neuenburg.

Die Neuenburger Taler von 1713 wurden also eigentlich 1714 geprägt. Und sie entstanden auch nicht in Neuenburg, sondern in Bern. Denn während der Herstellung der Halbtaler zerbrach der einzige Balancier der Münzstätte, und ohne dieses Gerät, konnten die großen Silbermünzen nicht geprägt werden. Auf Rat des Münzmeisters wich man auf die Münzstätte von Bern aus, wo man im Mai 1714 diese Arbeit ausführte.

Friedrich Wilhelm I. Reichstaler 1714, Berlin. Äußerst selten. Sehr schön bis vorzüglich. Schätzung: 15.000,- Euro. Aus Sammlung Axel Tesmer, Auktion Künker 353 (2021), Nr. 3318.

Ein zerbrochener Balancier und seine numismatischen Folgen

Der Balancier war also kaputt. Am 1. Juni 1714 wurde deshalb die Münzstätte von Neuenburg geschlossen. Doch auch der Soldatenkönig wünschte trotz aller Bescheidenheit wenigstens ein paar Neuenburger Taler mit seinem Bildnis zu Geschenkzwecken. Deshalb beauftragte er die Berliner Münzstätte, diese Taler zu schaffen. Christian Friedrich Lüders, auf den das winzige L unter dem Armabschnitt dieser Prägung hinweist, schnitt die Stempel, mit denen extrem seltene Taler mit der Jahreszahl 1714 und noch seltenere Halbtaler mit der Jahreszahl 1715 hergestellt wurden.

Auch Friedrich II. überlegte sich, ob er die Münzstätte Neuenburg nicht für seine eigenen Zwecke wieder eröffnen sollte. Doch er scheute die Kosten und die monetären Umstände schienen auch nicht geeignet, aus dieser Münzstätte einen ordentlichen Profit zu erwirtschaften. Und bald hatte Friedrich II. dann ganz andere Sorgen.

Dass die Neuenburger nicht bereit gewesen wären, ihren guten Namen und ihre Münzstätte für die königlichen Münzbetrügereien des Siebenjährigen Krieges herzugeben, sieht man an ihrer radikalen Reaktion, als Friedrich II. versuchte, mehr Steuergelder aus ihnen herauszupressen, um seinen Krieg zu finanzieren: Sie ermordeten im Jahr 1768 den preußischen Vizekönig. Auf Vermittlung Berns blieb dieser Aufstand ungestraft. Der neue Gouverneur, der Berner Patrizier und preußische Generalleutnant Robert Scipio von Lentulus hatte zu viel anderes zu tun, als dass er sich die Zeit genommen hätte, regelmäßig nach Neuenburg zu reisen.

Die numismatischen Informationen stammen aus dem Standardwerk zur Münzprägung von Neuenburg aus der Feder von Charles Froidevaux, das er unter dem Titel „Histoire économique et monétaire en Suisse occidentale (1589-1818) im Jahr 2019 veröffentlichte.