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Das Martyrium des heiligen Stephanus

19. январь 2018


Es ist der heilige Stephanus, der da in seinem prachtvollen liturgischen Gewand kniend auf einem Brakteaten dargestellt ist. Die Münze ist Teil der Sammlung Professor Helmut Hahn und wird von Künker im Rahmen der Berlin Auktion am 1. Februar 2018 mit einer Schätzung von 7.500 Euro versteigert. Geprägt wurde das künstlerisch anspruchsvolle Stück unter Ulrich von Reinstein, Bischof von Halberstadt, in den Jahren zwischen 1149 und 1160. Für Halberstadt besaß der Heilige eine ganz besondere Bedeutung. Schließlich war ihm der Dom geweiht, in dem Reliquien des hl. Stephanus verehrt wurden.

Auktion 301, Losnummer 520: Halberstadt. Ulrich von Reinstein, 1149-1160. Brakteat. Von größter Seltenheit. Sehr attraktives, sauber zentriertes Exemplar mit prachtvoller Patina, vorzüglich. Schätzung: 7.500 Euro.

Auf unserem Brakteaten ist das Martyrium des hl. Stephanus dargestellt, wie wir es aus der Apostelgeschichte, Kap. 6f. kennen: Stephanus hatte gepredigt, dass Jesus von Nazareth den Tempel zerstören und die jüdischen Gebräuche verändern werde. Dies galt als Gotteslästerung, und so verurteilte ihn der Sanhedrin zur Steinigung, der damals dafür gebräuchlichen Strafe. Diese Steinigung ist auf unserer Münze zu sehen: Der kniende Heilige hat beide Hände im Gebet erhoben. Seine Tonsur und das geistliche Gewand - die Dalmatik - kennzeichnen ihn als Diakon. Über ihm ist die segnende Hand Gottes dargestellt. Hinter ihm stehen seine Henker und werfen Steine.

Wer diese aggressiven Angreifer sind? Für den mittelalterlichen Betrachter waren sie eindeutig zu identifizieren. Sie tragen nämlich die spitzen Hüte, damals das ikonographische Symbol für Juden.

Wir befinden uns mit diesem Brakteaten in den Jahren zwischen 1149 und 1160, also in einer Epoche, die sicher nicht von ständigen Judenpogromen und Judenvertreibungen geprägt war. Noch lebten christliche und jüdische Bürger miteinander, auch wenn die Unterschiede zwischen ihnen durchaus augenfällig waren. Es gab Mitte des 12. Jahrhunderts sicher noch keine Ghettos oder Vorschriften, wo Juden leben sollten, aber jedes jüdische Haus war als solches durch die am rechten Türpfosten angebrachte Mesusa gekennzeichnet. Ferner grenzten Stricke oder Stangen den Bereich ab, in dem die Sabbatruhe gelten sollte.

Auch äußerlich unterschieden sich Juden kaum von Christen, jedenfalls auf der Straße. Die vielen Gewandordnungen, von denen wir hören, stammen zumeist aus dem Spätmittelalter. Trotzdem hatte sich, wie unser Brakteat beweist, der spitze Hut bereits als ikonographisches Detail für die Kennzeichnung von Juden durchgesetzt. Ob er auch im Alltag getragen wurde? Wir wissen es nicht. Er sollte erst im späten 14. Jahrhundert Signalfunktion erhalten und mit negativen Assoziationen aufgeladen sein. Als man z. B. 1390 - also rund 250 Jahre nach der Prägung unserer Münze - in Seligenstadt einen Christen wegen Übertretung des Zinsverbotes verurteilte, musste er barfuß mit einem Judenhut auf dem Kopf um die Kirche gehen.

Die jüdische Gemeinde war zur Zeit unseres Brakteaten ein integraler Bestandteil des städtischen Lebens. Zog der Bischof oder gar der Kaiser zum Beispiel in Halberstadt ein, dann ehrten ihn auch die Juden bei seinem feierlichen Einzug durch ihre Anwesenheit, und zwar auf Augenhöhe und nicht in Form einer Unterwerfungsgeste. Das hatte seinen Grund: Die jüdische Gemeinde war durch Judenprivilegien geschützt, für die sie natürlich mit erheblichen Steuern bestens zahlte. Nichts Ungewöhnliches in dieser Zeit. Jeder, der ein Privileg erhielt, revanchierte sich dafür mit Geld.

Kann man deshalb von einer hochmittelalterlichen Idylle des friedlichen Miteinander sprechen? Sicher nicht, denn sowohl von Seiten jüdischer wie christlicher Geistlicher wurde eine strikte Trennung der beiden Gruppen gefordert. Gab es von jüdischer Seite das Verbot der Mischehe und die vielen, im alltäglichen Miteinander sicher schwierig einzuhaltenden Speisegebote, hatte die Kirche bereits in der Spätantike Gesetze erlassen, um jeden Kontakt zu verhindern. Diese wurden im Rahmen des 3. Laterankonzils im Jahr 1179 neu formuliert, wobei man beim Durchsetzen nicht allzu erfolgreich gewesen sein kann. Strafen für das Zuwiderhandeln gegen diese Gesetze kennen wir nämlich erst aus dem 15. Jahrhundert.

Nichtsdestotrotz die Zeichen wandelten sich, und dafür steht dieser Brakteat. Er stilisiert zwei Juden zu Mördern des hl. Stephanus, und erinnert damit an die kirchliche Lehre, das gesamte jüdische Volk als Gottesmörder zu begreifen.

Diese Lehre fand erst seit dem Jahr 1096 weite Verbreitung im einfachen Volk. 1096 kennen wir als das Jahr, in dem der Erste Kreuzzug begann. Unzählige Prediger zogen durchs Land und schürten die christliche Hysterie und den Hass auf Andersgläubige, was Tausende von Menschen dazu trieb, ihre Heimat zu verlassen, um ins Heilige Land zu ziehen. Wem das zu weit war, der konnte durchaus ins Grübeln kommen: Warum sollte er nicht diejenigen, die - jedenfalls wenn man den Predigern Glauben schenkte - Christus gekreuzigt hatten, gleich hier erschlagen? Der deutsche Graf Emicho von Leiningen gehörte zu den brutalsten Verfechtern dieser These. Unter seinem Kommando kamen unzählige Juden ums Leben.

Doch nicht alle teilten Emichos Judenhass. Es gab sicher die Besonnenen unter den Bürgern, und dann war da die Obrigkeit, die moralischen und militärischen Schutz bot. Schließlich waren die jüdischen Gemeinden wichtig für den Wohlstand des Reiches. Angreifer und Verteidiger der Juden hatten ihre Argumente. Doch erst Kaiser Friedrich I. gelang es in Vorbereitung des Dritten Kreuzzugs, die Juden unter seinen (vorläufig) wirksamen Schutz zu stellen. Er war nicht von Dauer. 

Wasserspeier aus dem Elsass, entstanden um 1300. Deutlich zu erkennen ist der als Karikatur dargestellte Jude mit Judenhut, der mit seiner Hand einen Geldbeutel umklammert. Heute im Unterlinden-Museum, Colmar. Foto: KW.

Unser Brakteat entstand in dieser Epoche des Übergangs. Die auf ihm abgebildeten Juden sind zwar als Juden zu erkennen, aber ihnen fehlen die entstellenden Züge, mit denen spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Kunstwerke die Juden kollektiv zu Gottesmördern abstempeln. Nichtsdestotrotz ist dieser Brakteat ein gutes Beispiel dafür, wie gefährlich es sein kann, nicht das Individuum als Täter und Opfer zu begreifen, sondern zu verallgemeinern.

Denn unser Brakteat steht zeitlich am Anfang von unzähligen Verfolgungen, in denen Juden zum Sündenbock abgestempelt wurden - von ihren hass- und angsterfüllten Mitbürgern und von einer gnadenlosen Obrigkeit.

Übrigens, die katholische Kirche rückte offiziell erst 1965 im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils mit der Denkschrift Nostra aetate von der Behauptung ab, die Juden seien kollektiv für den Tod Christi verantwortlich. Manchmal braucht die Vernunft eben länger, um sich durchzusetzen.