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Münzensammeln – Ein immaterielles Kulturerbe: Privatleute, Händler und ihre kommerziellen Kataloge

16. November 2021 11:48


Die Auktionskataloge und Festpreislisten bilden eine weitere und zugleich die letzte Gattung der numismatischen Literatur der Bibliothek von Alain Poinsignon. Entsprechende Veröffentlichungen von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ca. 1950 bilden einschließlich vereinzelter früherer Verzeichnisse den Kern dieses hier zur Versteigerung gelangenden Bestandes. Diese sind größtenteils in Einzelpositionen erfasst.

Darüber hinaus hat uns Alain Poinsignon auch eine Auswahl seines jüngeren Katalogbestandes überlassen, die wir größtenteils in Konvoluten, mitunter in Form von geschlossenen Reihen, in unsere Auktion integriert haben. Es mag erstaunen, dass wir sämtliche Lose dieser Auktion mit einer höchst bescheidenen Standardtaxe versehen haben, aus der von Fall zu Fall zweifelsohne ein mehr- oder vielfacher Zuschlagpreis hervorgehen dürfte. Nach unserer Erfahrung ergeben sich jedoch insbesondere bei den teils in Kleinauflage als kommerzielle Gebrauchsprodukte in einfacher Papierqualität
produzierten Katalogen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts sowie für bestimmte Spezialsammlungskataloge, im heutigen Versteigerungsgeschehen ausgesprochen unterschiedliche Resultate bei gleichartiger Erhaltung. Daher haben wir uns entschlossen, unserem umfangreichen Kundenkreis die Möglichkeit zu geben, für jedes Los den realistischen Marktpreis zu gestalten.

Betreffs der geographischen Herkunft des Bestandes ist zu bemerken, dass naturgemäß die französischen Publikationen hier stark vertreten sind, ebenso die deutschen und die schweizerischen. Auch Österreich und Italien sind mit einschlägigen Veröffentlichungen präsent. Britische und US-amerikanische Kataloge sind hier hingegen angesichts der großen Zahl der dort verausgabten eher spärlich vorhanden.

Obwohl diese Veröffentlichungen ihre Entstehung kommerziellen Erwägungen verdanken und nicht wissenschaftlichem Forschungsdrang, bilden sie eine wichtige Quellengruppe in der Numismatik, die ihre Herausgeber in der Regel unter Berücksichtigung des aktuellen Publikationsstandes der Zeit sorgfältig erarbeitet haben. Sie bieten einen Einblick über den Münzenmarkt, die darin eingebundenen Firmen sowie über die ursprünglichen Besitzer jener Sammlungen, die in den Markt wieder zurückgeflossen sind. Insbesondere jene Auktionskataloge, die von ihren Zeitgenossen mit authentischen handschriftlichen Einträgen der Zuschlagpreise, der Namen der Käufer und im besten Fall sogar mit den Namen des jeweiligen unterlegenen Gegenbieters ausgestattet worden sind, stellen überaus aussagekräftige und wertvolle Zeugnisse für die heutigen Sammler, Berufsnumismatiker und auch für die Provenienzforschung dar, die auf eine mehr als 700jährige Geschichte des modernen Münzensammelns und der numismatischen Sammlungen zu reflektieren hat.

Die Wurzeln des numismatischen Sammelns und Forschens liegen im antiken Italien, wo die frühen Humanisten im Laufe des 14. Jahrhunderts durch ihre Beschäftigung mit der antiken Kultur ein wachsendes Interesse an der Antike, insbesondere an der Kultur der alten Römer erweckten. Die Faszination für das Altertum regte Gelehrte wie auch Mitglieder des Adels und des wohlhabenden Bürgertums zum Sammeln antiker Kunst- und Gebrauchsgegenstände an, darunter auch Münzen und geschnittene Steine. Im Gefolge des Humanismus entfaltete sich eine rege Sammeltätigkeit über das kulturelle Zentrum Italien hinaus. Nach italienischem Vorbild legten auch Herrscher anderer europäischer Staaten große Münzsammlungen an. In ihren „Kunst- und Wunderkammern“ präsentierten gekrönte und ungekrönte Häupter die Münzen zusammen mit verschiedenen Altertümern, Manuskripten, Gemälden und Skulpturen, kunsthandwerklichen Arbeiten, aber auch Gegenständen aus der Natur, wie Mineralien, Versteinerungen oder exotischen Pflanzenteilen. Dem Beispiel des Adels eiferten auch humanistisch gebildete Bürger nach.

Die erste nachweisbare Auktion, die u. a. auch Münzen beinhaltete, fand am 6. Juli 1599 in Leiden statt. Sie umfasste Objekte aus dem beweglichen Nachlass des Schriftstellers, Offiziers und Politikers Philip St. Marnix, Herr von Sint-Adelgonde (* 1540 in Brüssel, † 1598 in Leiden), insbesondere die Bücher aus seiner Bibliothek, aber auch Gemälde sowie Münzen aus Gold und Silber. Reine Münzhändler gab es in jener Zeit freilich noch nicht, doch waren auf diesem Feld auch Juweliere und Goldschmiede aktiv, die nicht nur mit Geschmeiden, sondern auch mit Sammlermünzen einen schwunghaften Handel trieben. Schon früh durchstreiften münzkundliche Experten im Auftrag adeliger und bürgerlicher Sammler ganz Europa und Teile des Orients auf der Suche nach Raritäten. Wie sehr das Münzensammeln schon um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Europa verbreitet gewesen ist, dokumentiert der Reisebericht des Druckereiunternehmers, Malers und Gelehrten Hubert Goltzius (* 1526 in Venlo, † in Brügge) Auf seiner zwischen 1556 und 1560 unternommenen Studienreise durch die Niederlande, Deutschland, Frankreich und Italien bekam er nicht weniger als 950 Münzsammlungen zu Gesicht.

Obwohl das Interesse an der postantiken Geschichte seit dem 16. Jahrhundert mehr und mehr zunahm, konzentrierten sich die Münzsammler noch bis ins 17. Jahrhundert fast ausschließlich auf das Al tertum, vorwiegend auf die römische Epoche. Nur wenige Außenseiter hatten sich bereits zuvor mit mittelalterlichen oder gar zeitgenössischen Münzen befasst. Nun rückten auch diese in das Blickfeld der Sammler und Autoren. So verfasste bereits 1592 der Göttinger Bürgermeister Tileman Friese den ersten allgemeinen Leitfaden für münzkundlich Interessierte. Neben einem Überblick über die Münzgeschichte der Antike und des deutschen Mittelalters enthält dieses Werk unter anderem eine Besprechung deutscher und außerdeutscher Münzgattungen.

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde die numismatische Forschung weiter vorangetrieben. Die Bestände der bedeutenden fürstlichen Sammlungen wuchsen weiter an. Während dieser Zeit begann man Münzen und Medaillen aus den heterogenen Raritätenkabinetten herauszutrennen und als eigenständige Kollektionen zu führen. Die Münzsammlung des französischen Königshauses entwickelte sich in der Regierungszeit von Louis XIV (1643-1715) dank des großen numismatischen Interesses des Monarchen zu der bedeutendsten ihrer Zeit. An nahezu sämtlichen Höfen Europas war Münzsammeln ein regelrechter Modetrend geworden. Im 18. Jahrhundert hatte sich das Münzensammeln auch in weiten Kreisen des Bürgertums als gelehrter Zeitvertreib etabliert. Als Münzhändler betätigten sich nun auch Kaufleute und Bankiers, wie zum Beispiel Mayer Amschel Rothschild (1743-1812), Gründer des gleichnamigen Frankfurter Bankhauses. Münzauktionen waren bereits im 18. Jahrhundert durchaus nicht ungewöhnlich. Die Sammler konnten sich über gedruckte Versteigerungskataloge über das darin enthaltene Warenangebot informieren; auswärtige Interessenten hatten die Möglichkeit, sich über Kommissionäre an der Auktion vertreten zu lassen. Die Zahl der numismatischen Publikationen stieg nun erheblich an. Als erste rein numismatische Zeitschrift wurde die von Johann David Köhler herausgegebene „Wöchentliche Historische Münz-Belustigung“ von 1729 bis 1750/56 in Nürnberg verlegt. Dieses Periodikum war als populäres Medium für Sammler und münzkundlich Interessierte bestimmt und enthielt vornehmlich historisch ausgerichtete Plaudereien über ausgewählte Münzen und Medaillen. Des Weiteren finden sich darin freilich auch Hinweise auf bevorstehende Auktionen, Annoncen neu erschienener münzkundlicher Schriften, mitunter auch kurze Rezensionen, sogar Listen von Münzen und Medaillen, welche Privatmänner oder Kaufleute zum Verkauf anboten. Auch im akademischen Lehrbetrieb hielt die Numismatik nun ihren Einzug. Die ersten münzwissenschaftlichen Vorlesungen wurden an deutschen Universitäten im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts gehalten. Neue Methoden fanden im Fach fruchtbare Aufnahme. Die antike Numismatik hatte bislang die griechischen Prägungen gegenüber den römischen eher vernachlässigt. Die Veröffentlichungen von Johann Joachim Winckelmann (1717-1786) über Probleme antiker Kunst lenkten den Blick von der römischen auf die griechische Antike. Während des 19. Jahrhunderts wird auch in der Münzkunde des Mittelalters und der Neuzeit der wissenschaftlich-kritische Einschlag deutlich spürbar. Die Pflege und Erschließung der großen Sammlungen in Paris, London, Wien, Berlin und anderswo hatte man längst methodisch geschulten Fachleuten anvertraut. In zahlreichen Staaten Europas vollzog sich die Gründung numismatischer Gesellschaften und Vereine, welche den gedanklichen Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Sammlern förderten. Einige der im 19. Jahrhundert von solchen Zirkeln herausgegebenen numismatischen Zeitschriften und Jahrbüchern bestehen noch heute, wie zum Beispiel die seit 1836 in Paris herausgegebene „Revue Numismatique“. Hauptamtliche Experten, aber auch zahlreiche engagierte und kenntnisreiche Sammler erarbeiteten im 19. und 20. Jahrhundert auf breiter Front grundlegende Studien. Der Münzhandel und das numismatische Auktionswesen nahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erheblich zu, woraus auch eine Zunahme der Auktionen und der Herausgabe von gedruckten Festpreisangeboten resultierte. In verschiedenen europäischen Städten etablierten sich zahlreiche Firmen, die sich auf den Handel mit Münzen und Medaillen konzentrierten. Dank der günstigen Marktsituation konnte nun auch manche private Kollektion mit seltenen Stücken gewaltig ausgebaut werden. Wie uns eine 1893 veröffentlichte Liste bedeutender europäischer Sammlungen veranschaulicht, zählten die Münzsammlungen bürgerlicher Privatleute bis zu 50.000 Exemplare. Die größte numismatische Privatsammlung aller Zeiten entstand aber zu jener Zeit bereits in den Vereinigten Staaten, wo der Chicagoer Brauereibesitzer Virgil M. Brand sich seit 1889 dem Sammeln mit großem Engagement zugewandt hatte. Bis zu seinem Tod im Jahre 1926 hatte er seine Kollektion auf nahezu 362.000 Einzelstücke vermehrt. Seine Erwerbungen tätigte er auch massiv in Europa, wo der Münzenhandel in vielen Ländern während des Ersten Weltkriegs, aufgrund der soldatischen Dienste der Händler und Sammler sowie der verschlechterten ökonomischen Lage in einem nur reduzierten Maße erfolgte und auch in den Folgejahren nach dem Friedensschluss erst allmählich wieder eine Blütezeit erlebte. Die Weltwirtschaftskrise 1929 und folgende Jahre führten dem Handel und den Auktionatoren indes einen vermehrten Zufluss von Einlieferungen zu, der sich auch im Umfang der Auktionen widerspiegelt. Auch manche Festpreiskataloge der Münzenhändler, die Abbildungen meist entbehrten, konnten in jenen Jahren mitunter Tausende von Positionen historischer Münzen und Medaillen beinhalten, die manchem heutigen Sammler oder Händler Freude machen dürften.

Die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland sowie die staatlicherseits damals gegen die jüdische Bevölkerung gerichteten Drangsalierungen, Einschränkungen und Verfolgungen bewirkte die Einstellung des Geschäftsbetriebs der dortigen in der numismatischen Szene fest integrierten jüdischen Münzenhändler und Auktionatoren, von denen vielen die Flucht ins Exil und so Manchem der Aufbau einer neuen Existenz im Ausland gelang. Für manche Firmen bedeutete der Wegzug ihrer vorherigen Besitzer die Einstellung des Geschäftsbetriebs in Deutschland, einige Unternehmen konnten vom bisherigen Eigentümer durch Verkauf an nichtjüdische Mitarbeiter oder Geschäftspartner übereignet werden, andere wurden „arisiert“ und so von Fremden weiterbetrieben.

Wie der Erste Weltkrieg bewirkte der Zweite im kontinentalen Europa spätestens im weiteren Verlauf die Einstellung des numismatischen Auktionsgeschäfts, das sich erst seit ca. 1950 sukzessive wieder belebte und einen bis heute wachsenden Markt entstehen ließ.

Die gesetzlichen Regelungen gestatten in vielen Staaten, so auch in Deutschland, Münzhandels- und Auktionsfirmen, in Eigenregie ihre Versteigerungen durchzuführen unter der Leitung von dazu lizensierten Vertretern ihres Unternehmens. Schweizer Firmen ist es gestattet, die Auktion ebenfalls als Eigenveranstaltung durchzuführen, doch ist die Präsenz eines sogenannten „Gantbeamten“ obligatorisch vorgesehen, der das Versteigerungsgeschehen beaufsichtigt. Eine andere Tradition bestand in Frankreich bis in jüngste Zeit, wo eine Versteigerung von Münzen oder anderen Sachgruppen stets unter der Leitung und Kontrolle eines „Commissaire-priseur“ steht, eines zum Auktionator bestellten Juristen, der zusätzliche Studienqualifikationen auf den Gebieten der Geschichte oder Kunstgeschichte nachweisen muss. Diesen sind fachlich spezialisierte Händler beigeordnet, die als amtlich bestallte Experten die Auktionskataloge erstellen und diese Veranstaltungen organisieren. Da die numismatischen Experten zumeist nicht nur mit einem einzigem Commissaire-priseur zusammenarbeiten, ist es nicht leicht, einen Überblick über eine komplette Folge der von ihnen betreuten Versteigerungen zu gewinnen.

Der großen fachlichen Bedeutung von numismatischen Auktionskatalogen und Lagerlisten tragen mehrere Bibliographien Rechnung. Die Zusammenstellung des Bestandes der Bibliothek des Fitzwilliam Museums bietet eine nützliches, wenngleich nicht ganz vollständiges Verzeichnis (T[heodore]. V. Buttrey [Jr.], List of Numismatic Auction Catalogues und Fixed Price Lists, 2 Bände o.O. 2014) der diesbezüglichen Veröffentlichungen. Auch das Werk des Kunstgeschichtlers und -sammler Frits Lugt, das im großen Stil Kataloge von Kunstauktionen (einschließlich Münzauktionen) aus der Zeit 1625 bis 1925 und darüber hinaus auflistet, sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden (Frits Lugt, Répertoire des catalogues de ventes publiques, intéressant l'art ou … monnaies médailles, camées, intailles, armes, instruments, curiosités naturelles, etc. 4 Bände, Den Haag 1937-1984). Weitere einschlägige Bibliographien existieren für die numismatischen Auktionskataloge bestimmter Staaten, so für die U.S.A., für Dänemark und Norwegen und für Großbritannien.

Für Frankreich liegt nach meiner Kenntnis keine bündige Zusammenstellung der französischen Münzauktionen vor, lediglich eine Zusammenstellung derjenigen Versteigerungen, an denen Experten des Hauses Bourgey beteiligt waren, das ebenfalls einige Lücken aufweist, da einige kleinere Auktionen darin fehlen (Sabine Bourgey/Georges Depeyrot, Collections Numismatiques. La République Romaine, 1988).

Ein Verzeichnis der deutschen Firmen, erstellte Detlef Tietjen mit dem Katalog seiner Auktion 20 vom 10.11.1976, die die umfangreichen Katalogbestände aus der Firmenbibliothek der Münzenhandlung Richard Gaettens jun. enthielt. Mit dieser vielbeachteten Arbeit führte er eine auf die jeweiligen Firmen bezogene Nummernvergabe der von 1871 bis 1945 erschienenen deutschen Auktionskataloge und Lagerlisten ein. Zudem löste er die Namen von Sammlern auf, die von den damaligen Versteigerungshäusern aus Diskretionsgründen verschwiegen oder in mehrdeutiger Form verkürzt worden waren.

Zu den von 1880 bis 1980 reichenden Auktionskatalogen, die vornehmlich antike Münzen beinhalteten, publizierte John Spring ein Buch, das diese nicht nur bibliographisch verzeichnet, sondern auch die Geschichte der daran beteiligten Münzhandelsfirmen umreißt sowie Biographien ihrer damaligen letzten Besitzer enthält (John Spring, Ancient Coin Auction Catalogues 1880-1990, London 2009). Anknüpfend an Springs Werk erfolgte meine Konzeption unseres Auktionskataloges. So habe ich mich mit den in unserem Auktionsgut vertretenen Münzhandlungen respektive Auktionsfirmen beschäftigt und ebenfalls auch Recherchen vorgenommen zu den dort aufgeführten Sammlern, die mitunter nur namentlich bekannt sind und meine daraus gezogenen Schlüsse niedergelegt, insbesondere um den teils schon in Vergessenheit geratenen Personen und Firmen, die sich allein schon durch den Aufbau von Sammlungen und deren Dokumentation in den kommerziellen Katalogen einen Baustein zur Geschichte der Numismatik beigetragen haben.

Osnabrück, Oktober 2021

Detlev Hölscher