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Eine außergewöhnliche Sammlung antiker Porträtmünzen

28. Oktober 2023


Der gelehrte Sammler hat neben zahlreichen anderen Kollektionen über mehrere Jahrzehnte mit hohem Einsatz eine Spezialsammlung von ca. 100 Münzen aufgebaut, die den Übergang der Römischen Republik in das Römische Kaiserreich (ca. 50 v. Chr. bis 50 n. Chr.) unter einem bestimmten Aspekt spiegeln: Nur in dieser Zeit wurden Münzen geprägt, auf denen sich die Porträts und die Namensaufschriften bedeutender Männer im Dienste des römischen Staates finden. Vor dieser Zeit trifft man nur auf die Bilder oder Bildnisse mythischer oder bereits verstorbener Größen der römischen Republik, nachher sind es allein die Porträts von Mitgliedern des Kaiserhauses.

Ein Sammler, der sich auf ein solches Thema einlässt, muss Abstriche bei der Zielsetzung machen, nur besterhaltene Münzen zu erwerben. Viele Stücke sind extrem selten oder bisher nur in einem einzigen Exemplar ans Tageslicht gekommen. Oftmals liegen ästhetische Ansprüche und historische Bedeutsamkeit im Widerspruch. Wahrscheinlich muss man viele Jahre warten, bis wieder ein solches Stück auf den Markt kommt. Gerade dieser Aspekt zeigt, wie wichtig es ist, dass derart besondere Sammlungen mit der verdienten Sorgfalt bearbeitet werden, nachdrücklich Aufmerksamkeit auf sie gelenkt wird und die Erwerbsmöglichkeiten leicht und übersichtlich sind. Nur so erhalten andere Freunde solcher Münzen eine Chance, sie für eine bestimmte Zeit in ihren Besitz zu bringen, mit ihnen ihre Sammlungen zu vervollständigen und sich über solche Raritäten freuen zu können. Die aufopfernde Tätigkeit jenes Sammlers, der die Münzen aus der Hand gibt, ehrt unser Haus damit, dass wir in solchen Fällen stets einen gut bebilderten und eingehend kommentierten Katalog erstellen, der die Sammlungsleistung würdigt und die Erinnerung an sie bewahrt. Der wissenschaftlichen Numismatik kann ein solcher Katalog als Quellengrundlage und Hilfsmittel, aber auch als Anstoß zu weiteren Forschungen dienen.

 

Die Zeit von 50 v. Chr. bis 50 n. Chr. – eine entscheidende Phase der Weltgeschichte

Die Münzen der Sammlung Dr. W. Risse beleuchten eine der interessantesten Epochen der Weltgeschichte. In den 100 Jahren von ca. 50 v. bis ca. 50 n. Chr. überschlugen sich Ereignisse, und immer wieder gab es neue und nicht vorhersehbare Wendungen. Es war eine Phase der Weltgeschichte, deren Auswirkungen über viele Jahrhunderte nachdauerten.

 Abb. 1 (Modernes Standbild Caesarsam Rubikon (JN 18.9.2016))

In den letzten Jahrzehnten der römischen Bürgerkriege scheiterte an den Iden des März (15. März) 44 v. Chr. Caesar (Abb. 1) mit dem Versuch, nach seinem Sieg über Pompeius die Alleinherrschaft über das Imperium Romanum an sich zu reißen. Überzeugte Republikaner ermordeten ihn. Der Fehlschlag des wagemutigen wie großzügigen, militärisch fähigen, aber bis zur Verblendung eitlen Mannes gewann dennoch weltgeschichtliche Bedeutung: Mit seinem Eigennamen wird bis heute in zahlreichen europäischen Sprachen der oberste Herrscher als Kaiser, Kejser, Keizer, Císař etc. bezeichnet.

Auf Caesars Ideen und Plänen konnte sein Adoptivsohn und Erbe, der junge Caesar, den wir besser unter dem Namen Augustus kennen, aufbauen. Aus dem Scheitern Caesars zog er den richtigen Schluss, dass er viel vorsichtiger vorzugehen hatte und seine Person zurücknehmen musste. Zugleich aber führte für ihn kein Weg daran vorbei, noch nachdrücklicher, als Caesar es getan hatte, die Macht über die Streitkräfte an sich zu reißen. Nachdem Augustus seine letzten ernsthaften Gegner, Marc Anton und die ägyptische Königin Kleopatra, im Jahre 31 v. Chr. in der Schlacht bei Actium mit Hilfe seines Strategen Agrippa besiegt hatte, war der Weg zur Alleinherrschaft für ihn frei. Da es ihm gelang, die Macht des Senates zu brechen und seine Position im Staate sogar zu vererben, war mit Augustus die Römische Republik an ihr Ende gelangt; mit ihm brach die Kaiserzeit an.

Grundlage für die Machtstellung des Augustus war seine ausschließliche Kontrolle über das römische Militär. Das römische Kaiserreich war nämlich eine Militärdiktatur. Allerdings musste der ‹Kaiser› bzw. Militärdiktator die gewonnene Macht verschleiern, hinreichend Anhänger in den führenden Schichten Roms finden bzw. eine neue Führungsschicht schaffen und die Vergangenheit vergessen machen. Augustus kannte die Macht von Symbolen und Bildern und wusste sie geschickt zu nutzen. Obwohl er als junger Mann zu den brutalsten und grausamsten Bürgerkriegsgenerälen gehört hatte, versuchte er nach der Erringung der Alleinherrschaft, sich als Friedensbringer darzustellen, rühmte sich, der Wiederhersteller des römischen Staates und der alten römischen Sitten zu sein, und ließ sich als Schaffer eines die damals bekannte Welt beherrschenden Reiches feiern. Der Name eines Augustus, den er sich verleihen ließ, brachte dies zum Ausdruck. Er wurde von seinen Zeitgenossen als ‹Mehrer› verstanden: Augustus hatte für den römischen Staat ein neues Fundament gelegt, neue Kräfte geweckt, und ein Goldenes Zeitalter, von dem die Mythen erzählten, erneut anbrechen lassen. Der Kaiser gab sich konservativ, wenn nicht gar der Vergangenheit zugewandt. In Wirklichkeit aber war er ein politischer und sozialer Revolutionär.

In diesem neugestalteten Römerreich wurde unter Augustus’ Herrschaft in Palästina Jesus geboren, doch spielte dies für die augusteische Zeit noch keine Rolle, sollte aber drei Jahrhunderte später Rom und die gesamte Welt aufs Neue massiv verändern. Schließlich kreuzten sich im Geschichtsverständnis der Nachwelt die Wege beider: Augustus wurde als eine Art Wegbereiter Jesu und der auf diesen zurückgehenden neuen Religion gesehen und mit ihm verbunden. So ist es nicht verwunderlich, wenn im berühmten Aachener Lotharkreuz dies bildhaft zum Ausdruck kommt, indem beide Erlöser der Menschheit auf ihm aufscheinen. In der Mitte der edelsteingeschmückten Rückseite des Kreuzes ist eine Gemme aus der Zeit des Augustus mit dem Porträt dieses Kaisers eingefügt, in die schlichtere Vorderseite ist der Erlöser am Kreuz dargestellt. (Abb. 2)

 Abb. 2 (Der Augustus-Kameo im Aachener Lotharkreuz (JN 27.7.2018))

Trotz des glanzvollen Bildes, das Augustus von sich und seine Anhänger von ihm schufen und das die Jahrtausende überdauerte (Abb. 3), rissen während seiner langen Alleinherrschaft (31 v. Chr. bis 14 n. Chr.) die Probleme und Katastrophen nicht ab. Die Widersprüche des römischen Staates und seine Unzulänglichkeiten hatten sich in der Zeit vor der Etablierung der augusteischen Monarchie dermaßen aufgehäuft, dass der erste Kaiser Roms nie zu wirklicher Ruhe gekommen ist und er seinen Sieg und Triumph nicht wirklich hat auskosten können. Seine Erben reichten nicht an seine Größe und Fähigkeiten heran, so dass sie zwar die monarchische Macht behaupten konnten, sie aber nicht so auszubauen vermochten, wie es sich der Begründer des römischen Kaiserreiches gewünscht hätte. Im Jahre 68 n. Chr. kam die Herrschaft der Familie des Augustus zu einem Ende.

 Abb. 3 (Kopf des Augustus in der Glyptothek München (JN 8.7.2023))

Das Problem der römischen Wehrverfassung und der altgedienten Soldaten

Das drängendste Problem der Zeit von 50 v. Chr. bis 50 n. Chr. war die Versorgung der vielen altgedienten Soldaten. Eine ungeheure Zahl von jungen Männern war für die die enorme Expansion des römischen Staates über den gesamten Mittelmeerraum wie auch für die 100 Jahre währenden Bürgerkriege zu den Waffen gerufen worden. Deshalb standen alle Bürgerkriegsgeneräle vor dem der nahezu unlösbaren Aufgabe, die langgedienten Soldaten in einen verdienten und sozial abgesicherten Ruhestand zu schicken. Dafür mussten sie ihnen neue Lebensperspektiven bieten. Die Soldaten, die oft mehr als 20 Jahre Kriegsdienst geleistet hatten, verlangten, dass ihre Befehlshaber ihnen ausreichend gutes Land verschafften, das ihnen eine auskömmliche Existenzgrundlage bot. Aber wo sollten die Bürgerkriegsgeneräle dieses Land herbekommen? Wenn sie die Landbesitzer in Italien enteigneten oder vertrieben, schafften sie sich neue Feinde und Unruhen. Caesar hatte dieses Problem erkannt und ein großes Ansiedlungsprogramm in den römischen Provinzen geplant und teilweise schon in Gang gesetzt, als er ermordet wurde. Auf diese Weise hoffte er, Italien und Rom von dem Unruhefaktor ,ausgediente Soldaten ohne Perspektive‘ befreien zu können. In den Provinzen konnten die Veteranenkolonien dazu beitragen, die Herrschaft Roms abzusichern. Nach dem Tod Caesars führten sein Erbe Augustus und die anderen Politiker Roms dieses Kolonisationsprogramm in den Provinzen weiter.

Mehrere Münzen der Sammlung Dr. W. Risse sind Zeugnisse für die vielfachen Kolonisationsanstrengungen Roms in dieser Zeit. Sie erinnern an Koloniegründungen, nennen die an ihnen beteiligten Politiker und geben ihnen auf Porträtmünzen ein Gesicht. Wahrscheinlich im Jahre 42 v. Chr. ließ der junge Caesar (= Augustus) in Turris Libisonis (heute Porto Torres) auf Sardinien eine Militärkolonie anlegen, um sich die Kontrolle über die Insel zu sichern. Eine Münze erinnert daran. Sie zeigt auf der Vorderseite das Porträt des römischen Praetors, der die Koloniegründung vornahm P(raetor) · – M(arcus) – L(urius) – D(eductor) C(oloniae). Unter seinem Kopf ist nur noch in Umrissen jener Pflug zu sehen, mit dem die Koloniegründung vorgenommen wurde: Mit ihm hatte der Praetor Lurius im Auftrag des Augustus eine Furche um das Areal der neu zu gründenden Stadt gezogen. Auf der Rückseite der Münzen ist ein stilisierter Tempel zu sehen, dabei stehen abgekürzt die Namen der ersten Bürgermeister (duoviri) der neuen Soldatenstadt (Nr. 93).

Der auf einer spanischen Münze porträtierte Gnaeus Statilius Libo begründete wahrscheinlich im Jahre 42 v. Chr. im Auftrag des Triumvirn Marcus Aemilius Lepidus in Spanien – vermutlich in Carthago Nova (heute Cartagena) – eine Veteranenkolonie (Nr. 92; Abb. 4).

 Abb. 4 (Das Theater von Cartagena (JN 25.2.2015))

Einige Jahre nach der Schlacht bei Actium, wahrscheinlich 27 v. Chr. siedelte Marcus Agrippa, der Feldherr und Schwiegersohn des Augustus, römische Veteranen im kretischen Knossos an. Auf einer extrem seltenen Münze ist auf der Vorderseite der Kopf des Agrippa abgebildet. Er ist umgeben von der schwer leserlichen Abkürzung C(olonia) I(ulia) N(obilis) C(nosus) EX D(e)D(uctione); ex deductione heißt ‹aufgrund einer Ansiedlung›. Auf der Rückseite ist das Porträt des Augustus zu sehen; es ist umgeben von den Namen jener Bürgermeister (duoviri), die die Münze zu Ehren des Koloniegründer Agrippas und seines mächtigen Schwiegervaters prägen ließen: M(arcus) AIMILI(us), T(itus) · FVFIVS · II VIR(i). (Nr. 106; Abb. 5)

 Abb. 5 (Kopf des Agrippa im Museum von Nikopolis/Actium (JN 26.9.2006))

Bereits Caesar hatte geplant, aus dem Militärdienst entlassene Soldaten in das im bithynischen Nordkleinasien am Marmarameer gelegene Apameia Myrleia zu schicken. Marc Anton hatte nach Caesars Ermordung diesen Plan in den Jahren 42-40 v. Chr. realisiert. Im Jahre 27 v. Chr. verstärkte Augustus die Kolonie von Apameia, indem er dort erneut entlassene Soldaten ansiedelte. Er musste dafür die Genehmigung des Senates einholen, da Bithynien eine Senatsprovinz war. Eine Münze erinnert daran. Sie zeigt auf der Vorderseite den Kopf des Gouverneurs von Bithynien, der Appius Pulcher hieß und den Titel eines Proconsuls führte: AP(pius) PVL[CHER] PRO COS(ule). Auf der Rückseite ist die römische Wölfin zu sehen, die die Zwillinge Romulus und Remus nährt. Die lateinische Legende C CASSIVS C F II VIR [F(aciundum) C(uravit) AVG DI(vi) F(ilius) S(enatūs) C(onsulto) C(oloniam)] R(estituit) umgibt das Bild. Sie besagt, dass der Bürgermeister Gaius Cassius, der Sohn des Gaius, Bürgermeister der neugegründeten Kolonie, die Münze prägen ließ und dass Augustus, der Sohn des Göttlichen (= Caesar), auf Senatsbeschluss hin die Kolonie neu gegründet hat (Nr. 111).

Die Ehrungen jener Männer, die die Einrichtung einer Veteranenkolonien (deductio) geleitet und betreut hatten, mit Porträtmünzen machen sichtbar, wie dankbar Soldaten für solche Landzuweisungen waren. Für die Veteranen begann mit der Besitzübertragung ein neues Leben, auch wenn sie Italien verlassen mussten und in irgendeiner römischen Provinz im Mittelmeerraum angesiedelt wurden.

Augustus begnügte sich aber nicht damit, demilitarisierte Soldaten in römi­schen Provinzen anzusiedeln. Er wandelte endgültig das römische Milizheer, in das jeder zum Dienst gerufen werden konnte, in eine Berufsarmee um. Er sorgte ferner dafür, dass kein noch so erfolgreicher Militärkommandeur sich zwischen ihn und ‹seine› Soldaten stellen konnte. Es sollte keine von den Soldaten verehrte Generäle mehr geben. Siege ‹seiner› Soldaten durfte bis auf wenige Ausnahmen nur noch der Kaiser feiern, weil alle militärischen Aktionen unter seiner Planung und seinem Oberbefehl erfolgt waren. Damit wollte Augustus in der Zukunft Bürgerkriegen die militärischen Voraussetzungen entziehen, doch schon in den Bürgerkriegswirren nach dem Tode Kaiser Neros im Jahre 68 n. Chr. wurde sichtbar, dass ihm dies nicht gelungen war. Bestand aber hatte die von Augustus angestrebte Kontrolle des Militärs durch einen einzigen Mann. Sie hat den römischem Staat in eine gut getarnte Militärdiktatur verwandelt.

 

Griechisches Denken, die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zum Nachteil des Staates und die Entstehung einer neuen Senatorenschicht

Ein weiteres Problem, mit dem Augustus es zu tun hatte, war das griechische Denken und Fühlen, das die römischen Führungsschichten durchdrungen hatte. Während für viele Griechen die Entfaltung des Individuums das höchste Lebensziel war, hatte in der römischen Republik der Bürger vor allem dem Staat zu dienen, der als ‹res publica› (d.h. ‹gemeinsame Angelegenheit› bzw. ‹Volksangelegenheit›) bezeichnet wurde. Lange Zeit hatten die Größen der römischen Führungsschichten ihre Eigeninteressen den Belangen des Staates untergeordnet. Die bedeutendsten Adelsfamilien hatten im Senat zwar um Ämter, Ehren und Einfluss miteinander rivalisiert, aber die Interessen der Gemeinschaft über ihre eigenen gestellt. Die nähere Bekanntschaft mit der griechischen Kultur führte seit dem 2. Jhdt. v. Chr. jedoch zu einem Drang, der eigenen Persönlichkeit skrupellos und ohne jegliches Maß zum Durchbruch zu verhelfen. Die Folge waren Kämpfe erfolgreicher Heer- und Parteiführer – wie Marius und Sulla, Pompeius und Caesar, Augustus und Antonius – um die Alleinherrschaft. In sie wurden die Soldaten und der gesamte Staat hineingezogen; viele verloren dabei im Kampf oder durch Todeslisten ihr Leben. Bildlicher Ausdruck dieser Individualitätsbestrebungen war die Abbildung noch lebender Personen auf Münzen: Der Senat hatte im Jahre 45 oder 44 v. Chr. Caesar unter vielen anderen Ehren auch das Recht eingeräumt, sein Bildnis auf die Münzen des Staates zu setzen. Dazu war es in Rom bisher noch nie gekommen. Derartige Münzen erinnerten an die hellenistischen Monarchien des Ostens, deren Münzen auf den Vorderseiten die Porträts der regierenden Könige trugen. Caesar konnte nur für sehr kurze Zeit sich dieses für die römische Republik revolutionären und monarchischen Bildnisrechts erfreuen, da er bald darauf ermordet wurde. Er hatte damit jedoch ein Vorbild geschaffen, so dass es in der Folgezeit häufiger zur Prägung von Porträtmünzen kam, die das Bildnis lebender Römer zeigen. Sie sind ein Charakteristikum dieser Epoche von ca. 50 v. Chr. bis 50 n. Chr. Diese Porträtdarstellungen beschäftigen bis heute die historische, archäologische und numismatische Forschung. Nach wie vor wird über die Deutung einzelner Prägungen diskutiert und gestritten.

Neben den Koloniegründern, die bereits erwähnt wurden, waren es vor allem Provinzgouverneure, deren Porträts auf Münzen dieser Zeit zu finden sind. Augustus war um eine solide und berechenbare Provinzverwaltung bemüht. Es lag ihm daran, die Zustimmung der Provinzbewohner für seine neuartige Herrschaft zu finden. Die augusteischen Verwaltungsreformen und -regeln, die das frühere Verhalten von korrupten und sich hemmungslos bereichernden Gouverneuren ächteten, erhöhten die Zustimmung der Bevölkerung zur römischen Verwaltung in den Provinzen und zum Kaiser. Gute Gouverneure, die sich für die Belange der Provinzstädte einsetzen, konnten neben anderen Ehrungen – z.B. Statuen – auch mit Porträtmünzen geehrt werden. Diese Herausstellung von führenden Amtsträgern, die Augustus Adoptivvater Caesar mit seinen Porträtmünzen eingeleitet hatte, versuchte Augustus behutsam wieder einzudämmen. Das Ziel eines römischen Monarchen musste sein, dass auf den Münzen, die im römischen Reich geprägt wurden, nur die Bilder des Kaisers und der Mitglieder seines Hauses erschienen. Augustus hat dies noch nicht vollständig durchsetzen können und wollen. Zum einen hielt er es für wenig günstig, städtische Gemeinden davon abzuhalten, verdiente römische Beamte – insbesondere Provinzgouverneure – mit einem Porträt zu ehren; zum anderen waren diese Männer oft mit ihm verwandte Persönlichkeiten oder ihm treu ergebene Gefolgsleute, denen er diese Auszeichnung nicht verwehren wollte. Deshalb spiegeln die Porträtmünzen der Sammlung Risse unter anderem wichtige Persönlichkeiten der neuen Führungschicht der Zeit des Augustus und stellen eine wichtige Quelle für deren Amtsführungen und Ansehen dar. Die vielen ‹neuen Männer› (homines novi) unter ihnen zeigen aber auch, wie massiv Augustus die römische Führungsschicht verändert hatte.

 

Einzelschicksale

Unter diesen bedeutenden Persönlichkeiten, die mit Porträtmünzen geehrt wurden, war Publius Quinctilius Varus. Er entstammte der altadligen Familie der Quinctilier, doch hatten seine unmittelbaren Vorfahren nicht mehr den Konsulat erreichen können. Varus’ Vater, der nach der Schlacht bei Philippi im November 42 v. Chr. Selbstmord beging, hatte sogar auf Seiten der Republikaner gekämpft. Dennoch erfuhr Varus unter Augustus einen atem­beraubenden Aufstieg. Offensichtlich verdankte er seine Karriere zunächst den Frauen, die er ehelichte. Seine drei Gattinnen gehörten anscheinend alle zur Familie des Augustus. Über die erste Gattin wissen wir nichts Genaueres. Seine zweite Gattin Vipsania Marcella war die Tochter von Augustus’ Feldherr und Schwie­gersohn Agrippa und der Claudia Marcella maior (einer Tochter von Augustus’ Schwester Octavia). Varus’ dritte Frau Claudia Pulchra war eine Enkelin von Augustus’ Schwester Octavia. Die erheiratete Zugehörigkeit des Varus zur Familie des Augustus führte dazu, dass der Kaiser ihn im Range eines Quaestors von 22 bis 19 v. Chr. als Reisebegleiter auf seine Inspektionsreise in den Orient mitnahm. Da Varus bei dieser Reise auf der Insel Tenos, in Pergamon und schließlich auch in Athen mit einer Statue geehrt wurde, muss seine Position und sein Einfluss auf Augustus sehr hoch veranschlagt worden sein. Beim Alpenfeldzug des Jahres 15 v. Chr. fungierte er als Legionskommandeur der 19. Legion. Zwei Jahre später bekleidete er zusammen mit Tiberius den Konsulat und beantragte mit ihm zusammen beim Senat die Errichtung der Ara Pacis, des Friedensaltars für den aus Spanien und Gallien heimkehrenden Augustus. Fünf Jahre später, 8/7 v. Chr. erlangte er das Amt eines Gouverneurs der Provinz Africa. Von dieser Amtsführung wissen wir nur aus der Münzprägung zweier Städte, nämlich von Achulla und Hadrumetum. Die Ehrung mit einem Münzporträt war eine Besonderheit und dürfte darauf hinweisen, dass beide Städte von Varus’ Amtsführung gehörig profitiert haben. In der Sammlung Dr. W. Risse findet sich eine Prägung der Stadt Achulla, die auf der Vorderseite das Porträt des Augustus zeigte, flankiert von seinen beiden Enkeln Gaius und Lucius Caesar (Nr. 102). Wegen des herrschenden Kleingeldmangels blieb die Münze lange Zeit im Umlauf und wurde stark abgegriffen. Damit sie ihre Gültigkeit behielt wurde ein Gegenstempel – ein sechsspeichiges Rad – in diese Vorderseite eingeschlagen. Auf der Rückseite ist der Kopf des P. Quinctilius Varus gut zu erkennen. Von der Legende sind P · QVI noch lesbar (Nr. 102). In der Zeit zwischen 7 und 4 v. Chr. vertraute Augustus dem Varus die Statthalterschaft der Provinz Syria an, in der drei Legionen standen. Der antike Historiker Velleius Paterculus schreibt über diese Phase seiner Amtsführung: Dass er wahrhaft kein Verächter des Geldes war, beweist seine Statthalterschaft in Syrien: Als armer Mann betrat er das reiche Syrien, und als reicher Mann verließ er das arme Syrien. Unsterblich geworden ist Varus durch seine letzte Amtsführung. 6-9 n. Chr. sollte er in der Provinz Germania, die die Römer bis zur Elbe ausweiten wollten, für Ruhe und Ordnung und für den Aufbau einer ordentlichen Verwaltung sorgen. Dieser Versuch endete damit, dass es seinem Gegner Arminius (Abb. 6) gelang, drei römische Legionen in einen Hinterhalt zu locken und nördlich des Wiehengebirges – nördlich von Osnabrück bei Kalkriese – niederzumetzeln. Auch Varus war unter den Toten der sogenannten Schlacht im Teutoburger Wald. Möglichweise erbeuteten die Germanen auch Varus’ silbernes Tafelgeschirr, für das zahlreiche Altertumswissenschaftler den Hildesheimer Silberschatz (Abb. 7) halten.

 Abb. 6 (Das Hermannsdenkmal (Hubert Berberich, Wikipedia))  Abb. 7 (Die Athena-Schale aus dem Hildesheimer Silberschatz (JN 7.10.2012))

 

In der Sammlung Risse gibt es eine abgegriffene Münze, die in Lugdunum geprägt wurde. Von diesem Typus, der auf der Vorderseite den Kopf des Augustus zeigt und auf der Rückseite das römische Zentralheiligtum für Gallien, sind tausende Münzen erhalten geblieben. Extrem selten sind aber Stücke, die den Gegenstempel C(aius) VAL(a) aufweisen (Nr. 104). Gaius Numonius Vala war ein Stabsoffizier des Varus, der unter dem Oberbefehl des Varus eine der drei Legionen kommandierte. Offensichtlich hat er solche gegengestempelten Münzen seinen verdienten Soldaten zum Geschenk gemacht: Für einen freuchtfröhlichen Abend dürfte ein solches Stück gereicht haben. Der römische Historiker Velleius Paterculus überliefert, dass Vala mit einigen Reitern bei der ‹Schlacht im Teutoburger Wald› floh und versuchte, den rettenden Rhein zu erreichen. Es gelang ihm nicht; auf der Flucht wurde er von Germanen erschlagen.

Zu den von Augustus geförderten neuen Männern gehörte auch Gaius Asinius Gallus. In einem Brief an die Stadt Knidos, der inschriftlich erhalten ist, nennt Augustus ihn seinen Freund. 8 v. Chr. wurde Gallus ordentlicher Consul, d.h. er trat am 1. Januar dieses Amt an und dieses römische Jahr wurde nach ihm und seinem Kollegen benannt. Um 5 v. Chr. wurde Gallus Gouverneur der Provinz Asia. Im Zusammenhang mit dieser Amtsführung ehrte ihn das kleine äolische Städtchen Temnos mit einer Porträtmünze. Auf der Vorderseite dieses städtischen Geldstücks steht nicht nur sein Name, sondern auch das Lob, dass er nicht korrupt war: ‹hagnos› (Nr. 115). Um die Zeitwende vertraute Augustus ihm die Provinz Hispania citerior an; seine Residenz war Tarragona. Die enge Bindung an Augustus ließ gegen Ende der Herrschaft des ersten Kaisers sogar das Gerücht aufkommen, Augustus habe ihn als seinen Nachfolger vorgesehen. Das brachte ihn noch schärfer in Konflikt mit Tiberius, der auf die Nachfolge hoffte. Schon seit 12 v. Chr. war Gaius Asinius Gallus mit Tiberius verfeindet. In diesem Jahr hatte nämlich Augustus unmittelbar nach dem Tod des Agrippa angeordnet, dass Tiberius die Witwe des Agrippa, Augustus’ Tochter Iulia, heiratete. Dafür musste Tiberius sich von seiner geliebten Frau Vipsania Agrippina, der Tochter des Agrippa, scheiden lassen. Augustus gab die geschiedene Agrippina dem Gaius Asinius Gallus zur Frau. Sie gebar dem Gallus fünf Söhne, die alle den ordentlichen Konsulat erreichten. Nach dem Tode des Augustus verschärften sich die Spannungen so sehr, dass Tiberius ihn im Jahre 30 zum Tode verurteilen ließ. Das Urteil wurde zwar nicht vollstreckt, doch starb Gallus elendig im Gefängnis.

Ein glücklicherer Aufsteiger unter Augustus war Lucius Apronius. Unter Kaiser Tiberius (14-37 n. Chr.) erlangte er zwischen 18 und 21 n. Chr. die Würde eines Gouverneurs der Provinz Africa auf. Dort zeichnete er sich, wie schon zuvor in Germanien, als tapferer und kluger General aus. Ihm gelang es, den Berberrebellen Tacfarinas, der einen Guerillakrieg gegen die Römer führte, entscheidend zu schwächen. Deshalb billigte Kaiser Tiberius ihm die Ehren eines Triumphators zu; richtige Triumphe durften damals fast ausnahmslos nur noch die Kaiser feiern. Eine gut erhaltene Münze der Stadt Hippo Regius, die Jahrhunderte später die Bischofsstadt des Hl. Augustinus werden sollte, ehrte den bedeutenden Römer mit einer Porträtmünze (Nr. 100): Auf der Vorderseite erscheint das Porträt des Kaisers Tiberius, auf der Rückseite das des Lucius Apronius. Dort steht nicht nur der Name dieses Gouverneurs, sondern auch HIPPONE LIBERA, das vielleicht als ‹weil Hippo frei ist› oder ‹unter dem Hippo frei ist› zu verstehen ist. Möglicherweise hat sich Lucius Apronius für die Freiheit dieser Stadt eingesetzt. Lucius Apronius wird von dem Historiker Tacitus ausführlich erwähnt. Nachdem sein Schwiegersohn seine Tochter aus dem Fenster geworfen und so getötet hatte, verklagte Apronius ihn vor dem Kaisergericht. Als die Anschuldigung des Apronius belegt werden konnte, beging der Schwiegersohn Selbstmord.

Eine der spätesten Porträtmünzen ist jenes Geldstück, das von der Stadt Kibyra in den Jahren 43-48 n. Chr. geprägt wurde. Es zeigt auf der Vorderseite das Bildnis des Quintus Veranius, auf der Rückseite einen stilisierten Tempel mit der griechischen Aufschrift ‹Münze der Bürger von Kibyra› (Nr. xx). Kibyra war eine bedeutende Stadt im Grenzgebiet der kleinasiatischen Landschaften Karien, Pisidien und Lykien (Abb. 8). Auch der Vater von Quintus Veranius gehörte zu den vielen ‹neuen Männern› (homines novi), die ihren Aufstieg Augustus zu verdanken hatten. Die große Stunde seines Sohnes kam, als im Januar 41 n. Chr. Kaiser Caligula ermordet wurde und zahlreiche Mitglieder des Senats das von Augustus gegründete Kaiserhaus auslöschen und die Republik erneuern wollten. Quintus Veranius war damals Volkstribun. Nach dem Willen zahlreicher Senatoren sollte er mit dem Vetorecht eines Volkstribunen die Machtübernahme des Claudius verhindern. Veranius weigerte sich, und Claudius, der dann tatsächlich Kaiser wurde (41-54 n. Chr.), war ihm lebenslang dankbar. Im Jahre 43 n. Chr. war es zu einem Aufstand in Lykien, das ein halbselbständiges römisches ‹Schutzgebiet› war, gekommen. Die einheimische Bevölkerung hatte dabei zahlreiche Römer erschlagen. Kaiser Claudius schickte darauf Quintus Veranius für fünf Jahre (43-48 v. Chr.) nach Lykien, damit er dieses schwer kontrollierbare Bergland endgültig in eine römische Provinz umwandle. Veranius zeigte Augenmaß und hatte eine glückliche Hand bei dieser schwierigen Aufgabe. Er konnte den Aufstand niederschlagen und eine Reihe von nützlichen Verwaltungsreformen durchführen. Bei seiner Rückkehr nach Rom wurde er für seine erfolgreiche Tätigkeit mit dem Konsulat, triumphalen Ehrungen und der Erhebung in das Patriziat (die höchste Klasse römischen Adels) belohnt. Im Jahre 57 n. Chr. schickte ihn Kaiser Nero in das von Claudius eroberte, dann aber von Aufständen heimgesuchte Britannien. Der im Bergkampf erfahrene Veranius sollte vor allem die Aufstände in Wales niederschlagen. Dort ist er während seiner Amtszeit verstorben.

  Abb. 8 (Blick auf die restaurierte Brunnenanlage von Kibyra (JN 2.5.2023))

 

Eine Schlussbemerkung

Bei der Vielfalt der Münzen können wir nur einen Einblick und keinen Überblick über die Sammlung Dr. W. Risse geben.  Wir empfehlen interessierten Kunden, den ausführlich kommentierten Katalog anzuschauen. Dort finden sich auch genaue Angaben zu den Provenienzen der einzelnen Stücke. Dr. W. Risse hat genau Buch über die Entstehung der Sammlung geführt. Gerade bei einer Sammlung solch seltener Stücke ist dies sehr wichtig. Es ist sicher, dass die Sammlung Dr. W. Risse eine Referenzsammlung für Münzen dieses Genres sein und bleiben wird. Insofern ist es faszinierend, ein Stück dieser grandiosen Sammlung in der Hand zu haben und in die eigene Kollektion zu integrieren.